mimicry (2010) __
the shaman (2009) __
sieg und niederlage (2008-10) __
expansion der gegenwart (2009) __
brigade joussance (2004) __
spaßkulturen (1997) __
international fuel crisis (2007-2010) __
kunst des nationalismus (2006) __
unkirche (2007) __
widerlegung der unterhaltung (1998) __
traktat über die schlange (1998) __
turns (2001-2009)
Nation & Exzess I: Kunst des Nationalismus
Kultur, Konflikt (jugoslawischer) Zerfall || Zoran Terzic, Kadmos, Berlin 2007
Nation & Exzess I: Zeitmacht
„In [Zeit] allein ist alle Wirklichkeit der Erscheinungen möglich.“
Immanuel Kant
„We do not remember, we rewrite memory, much as history is rewritten.“
Chris Marker, Sans Soleil (1983)
Michel Foucault zufolge durchzieht ein binärer Kampf die Entwicklung der abendländischen Gesellschaften. Es ist ein Kampf um das Bild und die Verfügbarkeit über die Souveränität – wenn man so will: ein Kampf um Historie und Gegenhistorie. Dieser Kampf um die souveräne Geschichte, um die „eigene“ Geschichte, um die „tausendjährige Kultur” usw. entlädt sich in Kriegen oder manifestiert sich in Zeichenarsenalen, die man heute Museen oder Bibliotheken nennt. Der Geschichte der Souveränität seit Bodin oder auch seit den römischen Imperatoren liegt die traditionelle lineare Auffassung von Zeit zugrunde, die Abfolgen von Systemen, Staaten, Stilen, usw. aus der Vergangenheit in die Zukunft bzw. die jeweilige Gegenwart projiziert – als objektive Zeit, die man als Kind in der Schule z.B. anhand von Landkarten lernt. Karte auf Karte, Jahrhundert auf Jahrhundert, lernt man so den Gang der Geschichte. Die Vorstellung, dass es auch andere „Gänge“ der Geschichte gibt, ist relativ jung. Bis etwa zum 16.Jahrhundert, schreibt Foucault, gebe es so etwas wie eine Gegenhistorie, eine Gegenzeit, nicht, die sich erst mit den Sozialrevolutionen des 18., 19. und 20. Jahrhunderts im großen Stile zu verwirklichen versuche.
Dennoch dominiert im Großen und Ganzen die lineare Zeitvorstellung der Souveränität: Nationalstaaten geben etwa heute den Takt vor, an dem sich der Gang der Geschichte ausrichtet. Was wir oben als zeitschöpferische Qualität der Erinnerung bezeichneten, gilt im übertragenen Sinne auch für das historische Zeitverständnis dieser und auch vormoderner Taktgeber. Es ist also keineswegs so, dass Vorstellungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in einem abstrakten metaphysischen Feld wie von selbst entstehen, und es ist keineswegs so, dass gesellschaftliche Fragen von diesen Abstraktionen nicht tangiert werden. Vielmehr ist es gerade der Prozess der Herrschaft, der politische Prozess, der Prozess der Erinnerungsriten, der überhaupt den metaphysischen Prozess ermöglicht. Was also „Vergangenheit“, „Gegenwart“ und „Zukunft“ ihrer Entstehung nach bedeuten (siehe Abbildung), ist im traditionellen Zusammenhang mit der dynastischen Sicherung politischer Macht zu sehen – wir sprechen hier von Zeitmacht. Die Zeitmacht dient dazu, Dynastien d.h. Generationen umspannende Herrschaftsbereiche zu begründen. Der Herrschaftsbereich entsteht irgendwann in der Vergangenheit (z.B. mit einer gewonnenen Schlacht) und setzt sich potenziell ewig fort, indem etwa Erinnerungsriten dieses historische Kontinuum immer wieder von neuem bestätigen und fortführen.
<Genealogische Achse der Historie>
Vergangenheit Gegenwart Zukunft
Spiegelachse: Topographie der Macht
Begründung Herrschaft Sicherung
Erst das Begründen und Sichern der Herrschaft kontextualisiert die Sphäre von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Es gibt keine Zukunft und keine Vergangenheit, wenn das eroberte Territorium nicht von „hinten“ und von „vorne“ gesichert ist (durch Waffentechnologie, Ökonomie, Diplomatie, Erbfolgeregelungen, Historiografie usw.). Wir sprachen oben von Zeichenarsenalen, die jenseits des Krieges den Krieg repräsentieren (Monumente, Dokumente, Ausstellungen, Museumsbauten, Kulturerbe usw.). Dort werden die Surrogate des Kampfes reproduziert. Institutionen sind in dieser Hinsicht Wiedergeburtsanstalten, welche den eigentlichen Geburtsanstalten ihren kulturellen Sinn geben. Hinter jeder „Anstalt“, d.h. hinter jeder Geste der Souveränität steckt die Trinität von Begründung, Herrschaft und Sicherung, und „Erinnerung“ ist in diesem Zusammenhang nichts anderes als der modus operandi des repräsentativen Willens zur Macht. Zeitmacht.
(Exzerpt aus einer Veröffentlichung, 2007)