mimicry (2010) __
the shaman (2009) __
sieg und niederlage (2008-10) __
expansion der gegenwart (2009) __
brigade joussance (2004) __
spaßkulturen (1997) __
international fuel crisis (2007-2010) __
kunst des nationalismus (2006) __
unkirche (2007) __
widerlegung der unterhaltung (1998) __
traktat über die schlange (1998) __
turns (2001-2009)
Gewissheiten wie Gummibärchen –
Kurzer Überblick über die Prinzipien des Spiels
1) „Einstmals muss die Kunst in das Festebedürfnis der Menschen aufgehen: der einsiedlerische und sein Werk ausstellende Künstler wird verschwunden sein: sie stehen dann in der ersten Reihe derer, welche in Bezug auf Freuden und Feste erfinderisch sind.“
(Friedrich Nietzsche)
Ist dies die Vision der heutigen Spass- und Eventgesellschaft? Oder ist es die Empfindung eines Übergangs, einer damaligen eingestandenen Not der Kunst?
Was es auch immer sei, Nietzsches Deutungsimpuls ist wichtig für unser gegenwärtiges Zeitempfinden. Dem engagierten Kulturtheoretiker bzw. -macher muss es darum gehen, Formen des vermeintlich Ernsthaften, die gleich der Nase Pinocchios, aufgrund kontrafaktischer, selbstbelügender Annahmen anwachsen, zu konterkarieren. (Die „langen Nasen“ unserer westlichen Kultur sind beispielsweise die neuerdings auftretenden humanistischen Begründungen der Kriegsführung.)
Das spielerische Vermögen steht für die Fähigkeit, Überzeugungen und Gewissheiten wie Kamellen von sich zu werfen.
2) Nach H.G. Gadamer sind folgende Aspekte für jegliches Spiel grundlegend:
— „Hin und Her einer Bewegung“ (z.B. Schaukel)
— Spielraum (z.B. Fussballplatz)
— bewusste Selbstbewegung (z.B. zwei Roboter können nicht miteinander „spielen“)
— Überschusscharakter (z.B. energieverschwenderisches Spiel von Jungtieren)
— „kommunikatives Tun“ (z.B. Mitspielen, Zuschauer anlocken,usw.)
(Ich würde hier noch den Fehler als zusätzlichen Aspekt ergänzen, da viele Spiele ihren Reiz und ihre Logik aus dem Versagen des Mitspielers erhalten.)
Wenn wir Gadamers strukturelle Überlegungen auf die Kunst übertragen, so gelangen wir zu folgenden Aspekten:
— Serientypus (stete Wiederholung der Arbeitsweise oder eines Motivs)
— Arbeitsmedium (die Verortung der Arbeit durch das Material)
— Subjektivität (Dialektik von Schöpfertum und sozio-kultureller Bestimmung)
— schöpferischer Impuls (die Geste der permanenten Überraschung)
— Ausstellung (Sozialisation des Kunstwerks)
[— Scheitern (Streben nach dem Absoluten)]
Philosophen haben sich oftmals auf die Idee des Spieles berufen, vor allem, wenn sie sich nicht auf kompromitierende Definitionen festlegen wollten ( – man denke etwa an Wittgensteins Sprachspiele). Andererseits wurde das Spielkonzept häufig als Metapher für „Freiheit“ oder, wie im obigen Fall, für „Kunst“ verwendet.
3) Wie wir oben andeuteten, bezeichnet ein „Spiel“ ein Regelwerk, an dem die spielende Aktivität vollzogen wird. Demnach gibt es ohne Zugregeln kein Schachspiel und ohne grammatische Regeln kein „Sprachspiel“.
Zu „spielen“ bedeutet, die gesetzten Regeln des Vereinbarten zu befolgen, und es lehrt eine Ritualisierung der Handlungen (z.B. gegenseitige Einschüchterungsversuche bei Boxkämpfen). Rituale machen es jedoch schwierig, wenn nicht unmöglich, Regeln zu verändern. Der französische Dichterdenker Paul Valery sagt: „Gegenüber den Regeln eines Spiels ist kein Skeptizismus möglich.“ Der Grund hierfür ist die Tatsache, dass ein Spiel nicht auf logischen Schlüssen, sondern auf Übereinkommen basiert (Man kann z.B. nicht „kritisieren“, dass ein Schachbrett 64 Felder hat), d.h. ein Spiel ist eine konservative Aktivität, die bestehende Regeln einhält.
Zugleich verweist „Spiel“ aber auf das Gegenteil eines Regelwerks: nämlich diejenige Aktivität, die das „spielerische“ Hintergehen und In-Frage-stellen von Regeln und konventionalen Vereinbarungen betreibt. Die Aussage „Es ist nur ein Spiel“ meint hier nicht das Verfahren nach Regeln, sondern das Vermeiden eines strikten Verfahrens überhaupt. Künstlerische Praxis bedeutet in diesem Zusammenhang, durch das Spielen neue Regelverfahren und Anschauungsmöglichkeiten anzuregen. Nach Gadamer ist der Künstler jemand, der „Musterhaftes schafft, ohne regelgerecht zu verfahren“.
Eine aussergewöhnliche Illustration dieses Ansatzes im Kunstbetrieb war eine Videoarbeit, die ich während der Documenta X gesehen hatte. Sie zeigte die Aufnahme eines auf den ersten Blick gewöhnlichen Fussballspiels zweier Mannschaften. Aussergewöhnlich war jedoch die Tatsache, dass die Mannschaften synchron mit zwei Bällen spielten.
4) Die Kunst hat diese zweifältige Rolle historisch konsequent durchspielt: es war zum einen oftmals die Änderung hin zu alterierenden Anschauungsformen, die den Werksimpuls prägte und die aus dem freien Wider-Spiel individueller Ansätze entstand; andererseits haben sich durch eine „Akademisierung“ des Schaffens (z.B. Meisterschulen, Institutionen, Decorumtheorien), konservierende Kräfte entwickelt, die die neu formulierten Prinzipien (z.B. Raumperspektive, formale Proportionsästhetik der Neuzeit) beispielhaft zu ästhetischen Normen und Handlungsvorgaben umformulierten.
(Wer selbst als Künstler, Designer, Musiker oder Architekt arbeitet, kennt diese inneren Wider-Spiele: Versuche, Brüche, bis man schliesslich zu Resultaten kommt, diese möglicherweise aber am nächsten Tag verwirft; „metaphysische“, d.h. grundsätzliche Selbstvorwürfe, aber auch Selbstbestätigungen ...)
5) In der jüngeren Vergangenheit hat insbesondere der Aufbruchgestus der „Moderne“ ästhetische Regelvorgaben – ob sie durch das Bauhaus oder gar die hybride Politästhetik des Kommunismus/Faschismus ausgedrückt wurden – unbedacht der oben beschriebenen Wider-Spiele einseitig auf das Ganze der Gesellschaft anwenden wollen. Seit den visionären Begründungsabsichten der „Moderne“ ist das Spiel so aus den Gefilden der Kunst verbannt worden. Die Kunst der „Moderne“ ist unspielerisch, da sie über die Autonomiebehauptung (für welche z.B. „Abstraktion“ ein Alibi war) ihren Wirkungsanspruch erhob. Dieser Anspruch ging einher mit dem Schöpfungswillen, die Anschauungen gerade der Gesellschaft zu verändern, von der man sich doch unabhängig sah.
Der Unterschied des autonomen Avantgardisten zu einem ebenso autonomen Hobbykünstler besteht gerade darin, dass ersterer einen metaphysisch oder sonstwie begründeten Geltungsanspruch mit seinem Werk verbindet, letzterer jedoch nicht. Der Familienvater, der im Keller spielerisch seiner Spielzeugeisenbahn frönt, will nicht die Anschauungswelt verändern wie der radikale Konstruktivist.
6) Der Wunsch nach spielerischer Reversibilität stellt die Möglichkeit von Lebensentwürfen gegen die existentielle Notwendigkeit des Todes. Im Spiel klammern wir diese Notwendigkeit ein, da wir uns der Notwendigkeit des Spieles aussetzen – wir „sterben“ immer ein wenig mit dem Filmstar.
Die Gewissheit des Beliebigen im Spiel nährt so die Hoffnung auf den Fortbestand eines Begriffes von der Welt. Ein Kleinkind, zum Beispiel, erfasst seine Umgebung, indem es deren Dinge betastet, verbiegt, umherwirft, usw. bis diese „Umgebung“ schliesslich im Laufe der Sozialisation zur „Welt“, zur „Umwelt“, zur „Nation“, zur „Kultur“, usw. stilisiert wird – also kurzum zu etwas, das man nicht mehr betasten, verbiegen und umherwerfen kann. Künstlerische Spielfähigkeit beweist sich indes darin, diese lebensweltlichen Abstraktionen wieder auf Regeln in persönlicher Reichweite zurückzuführen.
Richard Sennett schreibt folgerichtig: „Wer die Fähigkeit zu spielen verliert, verliert auch das Gefühl dafür, dass die Welt plastisch ist.“ Und ‚plastisch‘ meint im uralten Sinne: begreifbar. ZT 2004
Certainties like Popcorn - quick supervision on principles of play
1) “One day art must be absorbed into the human need for celebration: the reclusive artist and the one who exhibits his work will have vanished: instead they will be in the front line of those who are inventive in regard to fun and feasting.” (Friedrich Nietzsche)
Does this envision the ethos of our contemporary event culture or is this statement a mere historical coincidence? Whatever the case, Nietzsche’s impulse of perception is of importance for our time: the main task of contemporary cultural activists and/or theoreticians has to be to detect any form of hypocrisy, false moralism, ethical and aesthetical standstill in order to challenge it. All rigid seriousness is based on a lack of playfulness – a playfulness that stands for the ability to throw around one’s convictions and certainties like popcorn.
2) According to the German philosopher H.G.Gadamer any play is made up of five aspects:
— repetitive movement (e.g. a swing)
— playing “space” (e.g. soccer field)
— conscious act (e.g. two robots could never “play” with each other)
— surplus of energy (“unnecessary” behaviour, e.g. the play of young mammals)
— communication activity (e.g. gathering of audience)
(I would add mistakes as an additional aspect as most competitive games depend on the opponent’s failure.)
If we translate Gadamer’s notion of “play” into “art” these aspects show up in the art idiom as:
— series of works (repetition of motifs)
— media (the “location” of expression)
— subjectivity (the dialectics of authorship and socio-cultural enclosure)
— creative impulse (the act of a permanent surprise)
— exhibition (socialization of works of art)
[— failure (the strive for the ultimate)]
The idea of play came often into philosophers’ minds in cases when they did not wish to commit themselves to strict definitions (– consider Wittgenstein’s “language games”). On the other hand the concept of “play” was used frequently as a metaphor for “freedom” or, in the above case, for “art”.
3) As I have indicated above “play” on one hand relates to a set of rules that enable a comprehensive and fair playing process. It is based on conventions that lead to a ritualization of acts (e.g. boxer’s handshake, setting up chess pieces). Rituals make a rapid change of rules difficult, if not impossible. The French poet Paul Valery claims that “it is impossible to be sceptical regarding the rules of a game.” This is because the ritual of play is not based primarily on logic but on mutual agreement. In this instance “play” denotes a conservative activity that dwells on an “indisputable” set of rules.
At the same time “play” implies exactly the opposite: the ignorance of pregiven restrictions of behaviour and of any strict form of rules (e.g. “just playing around”). An artist, according to Mr. Gadamer, is someone who “lays down templates without resorting to pattern”. A good illustration of this notion is a video work I saw featured at Documenta X. It presented on first sight a regular soccer match. However, the intriguing fact was that both teams happened to be playing simultaneously with two balls.
4) Similarily, the arts have developed historically in this twofold sense: firstly, very often the impulse to alter ways of perception determined the working process. Secondly, aesthetical theories (e.g. decorum), workshops and academies led to conservative tendencies that reformulated the established imaging principles (e.g. Euclidean perspective, proportional aestetics of the New Era) in a normative manner. (The one who works as an artist, musician or performer should be aware of these juxtaposing states of mind: acceptance and refusal to a point where a result is aknowledged. At the same time a profound doubt about one’s endeavour, ...etc.)
5) In our recent past it has been explicitly the era of “Modernism” that has tried to impose its aesthetical norms on the whole of society unaware of the dialectics described above. In a strict sense, since “Modernism”, the idea of play has largely been banned from art.
The art of “Modernism” cannot be considered as playful as it vehemently proposed an autonomy of the creation process (for which “abstraction” was the emblematic alibi). Yet, at the same time it claimed to be sufficient relevant to change the perceptions of particularily that society, of which it claimed to be entirely independent. The difference between an “autonomous” avant-gardist and an equally “autonomous” hobby artist lies precisely in the fact that the first one implies a certain metaphysical relevance with his art, while the latter does not. The employee, who deals with his hobby after working hours has no interest in changing the world in the same manner as the radical constructivist.
6) The longing for the reversible nature of “play” juxtaposes the manifold expressions of life against the existential necessity of death. When we play, we tend to bracket this insight as we adopt the specific necessity of the game – we always die a little bit with the “death” of a movie star.
This “holy seriousness” (Huizinga) of play makes explicit the hope of a further and deeper understanding of our world. A newborn child, for instance, learns to “comprehend” his surrounding literally by touching, penetrating and throwing around objects. Subsequently, the meaning of “surrounding” by further abstraction and socialisation expands to notions like “world”, “nation”, “culture”, “universe”, etc., that is: notions and abstractions that cannot be touched, penetrated or “thrown around” anymore.
In this context, artistic playfulness exemplifes the skill to recover the original perceptions from abstractions of our real “life world” (Husserl) and to calibrate all meaning to the level of personal distance.
Consequently, the American sociologist Richard Sennett writes: “Who loses the ability to play, loses the feeling that the world is sculptural.” Perhaps what we call “world” today might already be a symptom that we have forgotten how to discover the playful dimension of being. ZT 2004
Guy, Photo, Staples © 2000