mimicry (2010) __

the shaman (2009) __

sieg und niederlage (2008-10) __

expansion der gegenwart (2009) __

brigade joussance (2004) __

spaßkulturen (1997) __

international fuel crisis (2007-2010) __

kunst des nationalismus (2006) __

unkirche (2007) __

widerlegung der unterhaltung (1998) __

traktat über die schlange (1998) __

turns (2001-2009)

Der panoramische Blick – Das Fernsichtgerät ist eine merkwürdige Vorrichtung, die es ermöglicht, seinen Blick nach vorne zu werfen, um einen Standpunkt einzunehmen, der irgendwo zwischen dieser Vorrichtrung und dem angeschauten Objekt liegt. Es ist eine optische Vorrichtung zum Ansehen von Objekten. Diese Objekte werden dabei nicht verändert, in dem Sinn, daß ihr Größerwerden nicht ihr Größerwerden, sondern das Größerwerden des Abbildungsmaßstabes ist. Aber die vom fernen Standpunkt aus der Nähe angeschauten Objekte sind doch irgendwie anders auf mich angesetzt. Ich sehe die Dinge eben so, wie ich sie sähe, wenn ich frei schwebend in der Luft eine gewisse Position einnähme. Dieser andere Blick ermöglicht mir Details zu sehen in einer Situation, wo es eigentlich keine Details gibt, sondern nur eine "schöne Aussicht“.

Meistens steht das Fernsichtgerät nämlich auf Brücken, Aussichtstürmen, Burgen, Sehenswürdigkeiten großen Ausmaßes, jedenfalls irgendwo, wo es sich lohnt, die Ferne nahezurücken, wie bei Weltraumteleskopen, um spezielle Informationen, neben den panoramischen einzuholen. Dies war der erste Zweck von Fernrohren, nämlich den persönlichen Standpunkt als Beobachter ad absurdum zu führen, ihn also nach "vorne“ zu werfen, um die Fläche des Panoramas zu durchbrechen ­ nicht Punkte am Firmament, sondern Sterne im Weltenraum zu erblicken.

Das ist eine der Hauptmaximen des blickenden Forschens überhaupt: Das Vorverlegen, das Verkleinern und Vergrößern des Blicks, um den persönlichen Standpunkt ad absurdum zu führen,

ihn also als den trügerischen Schein des Subjektivismus zu entlarven, im Gegensatz zum objektivierten, weil vorverlegten, "mehr" sehenden Blick des Apparates.
In der Zwischenzeit ist längst das "Subjektive“ des Apparates zutage getreten, demzufolge er den vorverlegten Blick nicht weitergibt wie er ist, sondern ihn durch sein Gebrauchen verändert, ihn also mit seiner Ansicht "unterlegt“, also subjektiviert, was dies eben heißt.
Der Traum, die Fläche des persönlichen Blickhorizontes zu zerstören, ist heute eine Frage medialer Virtualität/Virtuosität. Die Software versucht mittels potentiell unendlich vieler Blickpunkte das Panorama selbst ad absurdum zu führen, indem sie es der infiniten Potentialität zur Ansicht preisgibt.  – ZT


"Der Blick als Gegenstand", Buch und Ausstellung, Jüdisches Kulturmuseum Veitshöchheim,1996

"Kaum hatte er [Amor] bemerkt, daß ich die Knospe ausgewählt hatte, die mir vor allen anderen gefiel, nahm er einen Pfeil, setzte ihn auf, spannte den Bogen, der erstaunlich stark war, bis an sein Ohr und schoß, dergestalt, daß der Pfeil mir durch das Auge mitten ins Herz drang … Ich faßte daraufhin den Pfeil mit beiden Händen und begann, daran zu ziehen. Tief seufzte ich dabei, und ich zog so fest, daß ich den geflügelten Schaft freibekam; aber die mit Widerhaken versehene Spitze des Pfeils, die Schönheit hieß, war so in mein Herz verankert, daß ich sie nicht herauszuziehen vermochte; sie blieb drin, noch spüre ich sie."   (Guillaume de Lorris, Roman de la Rose 1234)



"...wie der Wechsel der `Sicht´auch das Gesehene alsbald zu einem wahrnehmungsmäßig-anderen macht; wie jede Verschiebung des Blickpunkts auch das Erblickte rein in seinem phänomenalen Bestand umgestaltet.“ (E.Cassirer)



"Wie sich nun an der Oberfläche des menschlichen Körpers im Gegensatze des tierischen überall das pulsierende Herz zeigt, in demselben Sinne ist von der Kunst zu behaupten, daß sie jede Gestalt an allen Punkten der sichtbaren Oberfläche zum Auge verwandle, welches der Sitz der Seele ist und den Geist zur Erscheinung bringt." (G.W.F. Hegel)




Der spekulative Blick – Das tägliche Umschauen läßt uns das Vor- oder Zuhandene wahrnehmen als die Erfahrung der allgegenwärtigen Gegenständlichkeit, der Allgegenständlichkeit (das Vorhandene sei hier: alle Dinge immer und überall; das Zuhandene: die Dinge, die ich, du, er, etc. vermerken können, die verhandelbar sind). Dieses blicklose Dahinsehen ­ nämlich dies ist das alltägliche Umschauen, und nur dieses ist hier zunächst gemeint ­ ist ein Aufgehen in der Umgebung, da die umgebende Welt den Blick besorgt, den das Dahinsehen ausmacht. Dieses Zureichen des Blickes ergibt die Wahrnehmungssituation des Dahinsehens als Uneigentlichkeit und Ausschließlichkeit. Die Ausschließlichkeit liegt ja dann vor, wenn diese Blickbefindlichkeit, die ja scheinbar eine blicklose ist, jeden Zweifel z.B. bezüglich einer Täuschung im Ansatz beseitigt. Alltäglich gesagt: Wenn man gar nicht richtig aufmerkt, dann täuscht man sich nicht. Wo keine blickliche Überzeugung, da keine Täuschung. Wo man nicht gesehen hat, da hat man auch nichts übersehen. So entsteht ein unglaubliches Zutrauen dank der Einflußnahme des zureichenden Blickes; ein blindes Vertrauen im Licht der Dinglichkeit. Es geht nun darum, der Dinglichkeit eine Geschichte zu ermöglichen, etwa als wenn ich auf den Trödelmarkt ginge, mir einen alte, verrostete Standuhr kaufte, sie wieder aufpolierte und sie in Beziehung zu mir als etwas Geschichtsträchtiges in mein Heim einfügte. Der neue Eigentümer hat nicht die Erfahrung des vergangenen ständigen Begleitens, der nebensächlichen Vorkommenheit. Eine persönliche Antiquität, als neuer Gegenstand mit Geschichte, ohne dieselbe zu kennen.

Was ist also seine Geschichte? Was ist mir eine Uhr neben ihrer bloßen Zuhandenheit in Form von Nützlichkeit, Anzeige? Was umgibt Einen tagtäglich in dieser Geschichtlichkeit? Inseitig umgibt Einen zunächst der Horizont, das Umherum im Sich. Auf diesem, als Möglichkeit zur Erfahrung, begegne ich Anderen, mir selbst (z.B. als Gegenstand im Spiegel oder durch das Wahrgenommenwerden von Anderen, das ja mein Be-stehen ermöglicht, oder durch den Schluckauf des Seins: die Krankheit der Realität ) und ­ als Bestätigung und ständige Prüfung meiner selbst ­ der Äußerlichkeit in Form von Gegenständen, die mich beschäftigen, sich mir auftragen, etc. Die Einheit des gesamtheitlichen Aufnehmens ist die Allgegenständlichkeit, die als Erfahrung des täglichen Blickes stetig aufsieht und beschäftigt. Die Wahrnehmung im alltäglichen Sinne ist die alltägliche Wahrnehmung als ständiger Vermerk. ?Ständig“ auch und vor allem im Sinne von ?stehend, Stand“. Ohne diese Ständigkeit fallen wir ins Bodenlose, Standlose. Entweder in Anarchie, Freiheit oder Wahnsinn. Anarchie als das Ringen zahlloser Hände, Freiheit als die ordende helfende Hand und Wahnsinn als die amputierten Hände oder herrenlosen Stümpfe. Der tägliche Aufstand als Gegenstand ist in seiner Eigentlichkeit dazu da, um uns ständig, also stehend im Leben zu erhalten, das ja selbst eine Form des Aus-standes ist. Etwa wie das Atmen als zunächst rein körperliche Funktion, so ist das Wahrnehmen von Alltagsformen (also das ständige Aufbauen des Blickes) Garant für das Weiter. Wer nicht stehenbleibt und steht, stirbt.

Die wenigsten beachteten Gegenstände sind Lebenshalter, nicht etwa die Dingheroen. Sie bilden die Brücke, auf der wir harrend ausstehen. So ist auch ihr Abbild (ihre Weise zu stehen) dem des Menschen nachempfunden. Ebenso wie die Sonne vor Jahrmillionen (mittels ihres natürlichen Verlangens) das Menschenauge gemäß ihres Bildes schuf, um von diesem gesehen und später angebetet zu werden, so gestaltet sich der Mensch seine Umgebung gemäß seiner eigenen Beschaffenheit, um vom ?Ding“ angeblickt und vergöttert zu werden. Diese Anbetung der Dinge drückt sich durch ihre Nützlichkeit aus. Sei es der Steinkeil als Urwerkzeug, der die Form eines Eckzahns besitzt, das Zerreißen des erlegten Tieres besorgend, als Form der Anbetung durch den Dienst der Nützlichkeit. Sei es die heutige Mülltüte, die ganz Darm oder Haut ist, welche die Speisereste verbirgt. Seien es ein Blasebalg, Staubsauger, etc., die atmende Wesen darstellen. Sei es ein Computer, dem nachgesagt werde, daß er ‘bestrebt’ sei, das menschliche Gehirn nachzuahmen, abbzubilden oder zu ersetzen. (Hier wird der menschliche Vergöttlichungswunsch am deutlichsten, denn die Endabsicht, kontrollierte künstliche Intelligenzen samt Superkörper (Roboter) herzustellen, dient nur der Selbsthöhung des eigenen Willens vor dem künstlich Geschaffenen). Seien es Teller, Tassen, Gläser etc. , die alle Mundöffnungen besitzen. Seien es Häuser, die eine zweite (soziale) Haut des Menschen darstellen. Seien es Automobile, Lokomotiven, Flugzeuge, Gebäude, die Gesichter zeigen (Selbst in Dinge, die wir nicht herstellen, stellen wir Gesichter hinein: z.B.in Wolken). Seien es Musik oder Kunst verschiedener Epochen, die Organismen erzeugen; selbstständige Wesen, weibliche und männliche. Diesen Sachverhalt findet man auch bei Schrauben und sonstigem Werkzeug, nämlich polarisierte Teile, die aufeinander abgestimmt sein müssen (männl.-weibl.), um eine Konstruktion, bzw. die eigene Art, o.a. zu erhalten.

Wahrnehmen ist eine Funktion des stetigen Be-stehens als Zeit; und des Seins als Raum. Diese Ständigkeit hat noch keine Geschichte. Jeweilige Geschichte wird durch den zureichenden Blick gezeugt. So könnte man diesen als visuellen Begattungsakt interpretieren. ?Er zog mich mit seinen Augen aus“ wäre hierzu das passende Vorspiel. Was jedoch wird fortgepflanzt (und somit Geschichte erzeugt)? Die Kinder des alltäglichen Blickes sind die gemeinen Ansichten, der zureichende Blick hat jedoch keine Nachkommenschaft.

Bei Spinoza heißt es, der Mensch sei notwendig bestrebt sein Sein zu erhalten und es zu mehren, rein aus der Notwendigkeit seiner Natur als Freiheit. Sein Dasein besteht aber hauptsächlich aus seiner wie auch immer gearteten Wahrnehmung und dem gewonnenen Einblick. Wahrnehmen ist an und für sich wiederum die ständige Prüfung seiner selbst. Die ständige Prüfung ist die Alltäglichkeit in Form von Gegenständlichkeit, die wiederum eine Abkehr vom ursprünglichen Dasein bedeutet. Die Wahrnehmung ist die ständige Abkehr von sich durch die eigene Selbstvergewisserung. So, wie es ist, verkehrt es sich zu anderem. Ich vergesse bisweilen, tief im Tag versunken (mit seinen Formen der Umgeblichkeit und Eingefaßtheit), daß ich überhaupt bin und bewege mich tief in der Gegendhaftigkeit, z.B. als Uhr des ständigen Begleitens, als Vorkommenheit. Man tut dies, man kauft das, man ißt, man stirbt, man lebt, und das gut. Man erhebt sich in diesen Situationen selten aus einer gewissen komödiantischen Rolle. Man hat dies und das durchgestanden. Dies ist nochmal gut gegangen, usw. Dieses Gut-Sein ist unangreifbar und tadellos. Es steht sozusagen. Ich denke mir: Die Uhr, der Vogel, die Wand, die Fliege, das Glas sind nichts mehr oder weniger, als die Art wie sie vorkommen. Und wie kommen sie denn vor? Sie kommen vor, indem sie aus der Menge hervortreten, wir sie ?aufrufen“. Richtiger: Sie sind in unserer Absicht, werden mit ihr geboren. Selektieren heißt in diesem Zusammenhang nur die vereinzelte notwendige Aufnahme von zustürzenden Eindrücken. Absicht heißt, man schafft sich eben je diesen oder je jenen Eindruck. Ich bin ein kreatives Loch, das sich seinen Rand selber schafft.
Absicht kommt von ?absehen“, d.h. sowohl der Zukunftsblick (das Absehbare, Vorauszusehende), der gerichtete Zielblick (das Absehen auf jmd. oder etw.), als auch das ?Absehen von etwas“ (das unbewußt eingestandene Verzichten) wird durch diesen Sachverhalt bestimmt. Die Absicht macht den Blick aus: der Verzicht, die gezielte Auswahl und das Vorausschauen. Der Blick ist also die Art, wie Gegenstände vorkommen.



J.P.Sartre: DerBlick (1943)
Jeder auf mich gerichtete Blick manifestiert sich in Verbindung mit dem Erscheinen einer sinnlichen Gestalt in unserem Wahrnehmungsfeld. Aber im Gegensatz zu dem, was man glauben könnte ist er an keine bestimmte Gestalt gebunden. Was am häufigsten einen Blick manifestiert, ist sicher das Sich-richten zweier Augäpfel auf mich. Aber er ist eben so gut anläßlich eines Raschelns von Zweigen, eines von Stille gefolgten Geräuschs von Schritten, eines halboffenen Fensterladens, der leichten Bewegung eines Vorhangs gegeben … Worauf es zunächst ankommt, ist, den Blick an ihm selbst zu definieren. Das Gebüsch, das Bauernhaus sind ja nicht der Blick: sie repräsentieren nur das Auge, denn das Auge wird zunächst nicht als das Sinnesorgan des Sehens erfaßt, sondern als Träger des Blicks. Sie verweisen also nie auf die leiblichen Augen des hinter dem Vorhang, hinter einem Fenster des Bauernhauses auf der Lauer liegenden Spähers: Für sich allein sind es schon Augen. Andererseits ist der Blick weder einer unter anderen Qualitäten des Objekts, das als Auge fungiert, noch die totale Gestalt dieses Objekts, noch ein weltlicher Bezug, der zwischen diesem Objekt und mir entsteht. Ganz im Gegenteil, statt den Blick an den Objekten, die ihn manifestieren, wahrzunehmen, erscheint mein Erfassen eines auf mich gerichteten Blicks auf dem Hintergrund der Zerstörung der Augen, die mich ansehen: wenn ich den Blick erfasse, höre ich auf, die Augen wahrzunehmen: sie sind da, sie bleiben im Feld meiner Wahrnehmung als reine Präsentationen, aber ich mache davon keinen Gebrauch, sie sind neutralisiert, aus dem Spiel, sie sind nicht mehr Objekt einer These, sie bleiben im Zustand der Ausschaltung, in dem sich die Welt für ein Bewußtsein befindet, das die von Husserl vorgeschriebene phänomenologische Reduktion vollzogen hat. Nie können wir Augen, während sie uns ansehen, schön oder häßlich finden, ihre Farbe feststellen. der Blick des anderen verbirgt seine Augen, scheint vor sie zu treten. Diese Täuschung kommt daher, daß die Augen als Objekte meiner Wahrnehmung in einer genauen Distanz bleiben, die sich von mir zu ihnen ausbreitet ­ kurz, ich bin bei den Augen ohne Distanz anwesend, aber sie sind von der Stelle entfernt, wo ich mich befinde ­ ,während der Blick ohne Distanz auf mir ruht und mich zugleich auf Distanz hält, das heißt, daß seine unmittelbare Anwesenheit bei mir eine Distanz ausbreitet, die mich von ihm fernhält. Ich kann also meine Aufmerksamkeit nicht auf den Blick lenken, ohne daß meine Wahrnehmung sich zugleich damit auflöst und in den Hintergrund tritt

… Wir können nicht die Welt wahrnehmen und gleichzeitig einen auf uns fixierten Blick erfassen; es muß entweder das eine oder das andere sein. Wahrnehmen ist nämlich anblicken, und einen Blick erfassen ist nicht ein Blick-Ojekt in der Welt erfassen (außer, wenn dieser Blick nicht auf uns gerichtet ist), sondern Bewußtsein davon erlangen, angeblickt zu werden. Der Blick, den die Augen manifestieren, von welcher Art sie auch sein mögen, ist reiner Verweis auf mich selbst. Was ich unmittelbar erfasse, wenn ich die Zweige hinter mir knacken höre, ist nicht, daß jemand da ist, sondern, daß ich verletzt bin, daß ich einen Körper habe, der verwundet werden kann, daß ich einen Platz einnehme und daß ich in keinem Fall aus dem Raum entkommen kann, wo ich wehrlos bin, kurz, daß ich gesehen werde. So ist der Blick zunächst ein Mittelglied, das von mir auf mich selbst verweist. Von welcher Beschaffenheit ist dieses Mittelglied? Was bedeutet für mich: gesehen werden?

(Jean Paul Sartre, Das Sein und das Nichts 1943)

"Die Welt in Augenschein nehmen und sie wie in einem Panorama betrachten." (Walter Benjamin)

Der Blick als Gegenstand (1996 || Exhibition/Book)