mimicry (2010) __

the shaman (2009) __

sieg und niederlage (2008-10) __

expansion der gegenwart (2009) __

brigade joussance (2004) __

spaßkulturen (1997) __

international fuel crisis (2007-2010) __

kunst des nationalismus (2006) __

unkirche (2007) __

widerlegung der unterhaltung (1998) __

traktat über die schlange (1998) __

turns (2001-2009)

Zoran Terzic

Widerlegung der Unterhaltung (1998)


Vorwort

Im Folgenden ist die Rede von der medialen Unterhaltung.

Laut der diesem Buch zugrundeliegenden Thesen dürfte es

so etwas wie Unterhaltung im medialen Bereich gar nicht

geben, wenn man die Begründungsstruktur der Macher zu

Ende denkt.

Die Unterhaltung, die es tatsächlich gibt, entsteht dadurch, daß man sie nicht zu Ende denkt. Bilder der Unterhaltung werden als nicht zu Ende gebrachte Vorstellungen geweckt, die soziale und ökonomische Motivationen färben.

Das wichtigste Unterhaltungsmedium ist das Fernsehen.

Ihm gilt mein besonderes aber nicht ausschließliches Interesse.



Axiome:


A1 Die Gesamtbevölkerung moderner, westlicher Prägung

besteht aus ca. 85% Kunden (Massenkultur) und ca. 15%

Produzenten/’Machern’ (Hochkultur).


A2 Der Kunde ist passiver Natur, der Produzent aktiver Natur

(auch wenn diese Aufteilung durch die nutzerorientierte Technologie des Internet im Wandel begriffen ist, derzufolge jederman zu Produzent und Kunde werden wird; siehe A4).


A3 Die Masse der Kunden ist zeitlich und räumlich verfügbar,

z.B. zuhause oder am Urlaubsort, etc.


A4 Alle Macher sind auch Kunden. In dieser Funktion sind

sie „hart“.


A5 Die Klasse der aktiv handelnden Kunden – die „weichen

Macher“ – ist unbestimmt. Sie drückt sich in Lebenssimu-

lationen aus: Erlebnisgeschäft, Urlaub, Hobby usw.


A6 Die Menge aller Macher ist als ‘schwarze Kiste’ darstellbar,

die der Kunden als weiße mit Eintrübungen.


A7 Die Form der Masse der Macher ist unscharf.




6 Thesen


Die interne Begründungsstruktur der Unterhaltungsindu-

strie läßt sich nach Warren & Bennis (1989) in mindestens 6 Thesen veranschaulichen:


1.Grand Stupidity Thesis

2.Das Nachfragemysterium

3.Theorie des Abschaltens

4. Das „Nur“Argument

5.Externe Begründung

6.Unterscheidungsklarheit


Im Folgenden werden diese Thesen einer Prüfung unter-

zogen.


           


1.Grand Stupidity Thesis (GST)

Die GST besagt, daß die überwiegende Mehrzahl der

Unterhaltungskunden erstens nicht fähig sei, ein intelli

gentes Angebot von einem dummen zu unterscheiden,

zweitens sich willig in den Programmablauf füge und drit

tens eine geistige Trägheit besäße, die komplexe Zusam

menhänge nicht zu erfassen vermöge. Aufgrund dieser

Mängel erübrige sich ein anderes Angebot als das beste

hende..

a) Der innere Widerspruch besteht hier darin, das Gros

der Bevölkerung für deren Dummheit verantwortlich zu

machen. Wer dumm ist, kann nicht zur Verantwortung für

sein dummes Tun (‘blöde Show gucken’) gezogen werden.

Verantwortung hätte derjenige, der diese Dummheit

erkennt, die erst aus der symbiotischen Beziehung zwi

schen Machern und Kunden erwächst. Durch Erkennung

der Dummheit wird Unterhaltung unmöglich.

b) Das Argument der Dummheit ist ferner weder ein Argu-

ment für Unterhaltung noch ein Argument für irgendetwas.

Es ist Teil eines Programms, nicht Teil einer Reflexion.

c) Verantwortungslose Unterhaltung ist kein Vorwurf,

sondern eine Äußerung der Programmfunktion.


2.Das Nachfragemysterium

„Wir bieten nur das, was die Leute wollen“, ist eine gängi

ge Äußerung, die das eigene Angebot auf die Nachfrage

stützt. Scheinbare Bestätigung findet das Nachfragemyste

rium durch die Existenz und Präsenz der Marktforschung.

a) Pilotprojekte scheitern in der Unterhaltungsbranche zu

häufig, so daß von einem 1:1  Abbildungsverhältnis zwi

schen Erfüllung und Nachfrage keine Rede sein kann.

b) Einschaltquoten geben ferner keine Nachfragesituation

wieder. Selbst die erfolgreichste Quatschsendung stellt

nicht dar, was die Leute sehen wollen, sondern nur, was

die Leute gesehen haben und dann wollen. Der Wille

eines Zuschauers besteht darin, Knöpfe zu drücken und

sich zwischen Alternativen eines Metaprogramms (Fernse

hunterhaltung) zu entscheiden.

c) Wenn alle Unterhalter nur das böten, was ‘die Leute’

wollten, neutralisierten sich alle Anbieter gegenseitig und

machten somit Unterhaltung unmöglich.

d) Zu behaupten, nur auf die Wünsche von Kunden zu reagieren, bedeutet den Anspruch auf Unterhaltung aufzugeben.

e) Unterhaltung ist keine Dienstleistung, sondern Schöpfung.

Der selbstmitleidige Anspruch „Der Kunde ist König“ hat

keine Relevanz während der Emittierung, bzw. während

des Verkaufs.

f) Ist Unterhaltung ein Delikt, so bedeutet das im Analo-

gieschluß, daß der Täter zum Ankläger wird und das Opfer ins

Gefängnis wandert. Immerhin findet das Opfer allein dort

Anerkennung.


          


3.Theorie des Abschaltens

Dies meint, daß jeder das Recht und die Freiheit habe, auf

Unterhaltung zu verzichten.

a) Es gibt keine Möglichkeit, Fernsehgeräte auszuschalten,

ebenso wie es keine Möglichkeit gibt, die eigene Kultur

„auszuschalten“. TV bedeutet Kulturträgerschaft und Kul

turvermittlung. Jeder weiß und ist damit beschäftigt, daß die Sendung nach dem Abschalten im Kunden weiterläuft. Es gibt keinen Sendeschluss.

b) Umschalten bedeutet nicht Programmwechsel, sondern

das Wählen innerhalb eines Programms.

c) Ein Programm ist dann und nur dann beendet, wenn

das Sonderbare eintritt, z.B. ein Eklat, ein Versprecher, ein Tonausfall oder ein Unfall ( wobei der Unfall seit den 80er Jahren in Sendungen ein Bestandteil des Programms sein kann).

d) Das „Abschaltenkönnen“ wird von den Kunden verlangt. Gemeint ist nicht ein Apparat, sondern der Kunde,

der sich abschalten soll, um kein umstürzlerisches Potential zu entwickeln (TV als soziales Befriedungsinstrument).


4.Das „Nur“ Argument

Diese Harmlosigkeitsthese beruft sich auf die Folgenlosigkeit einer Unterhaltungsrezeption – Unterhaltung sei ‘nur’ Unterhaltung.

a) Die Folgen der Unterhaltung sind nicht das Resultat einer

Sendung, die Folgen der Unterhaltung sind die unzähligen

Sendefolgen selbst.

b) Das „Zu-Tode-amüsieren“ ist hierbei eine Metapher die

verdeckt.

c) Wenn alles „nur“ Unterhaltung ist, verklärt sich der

Anspruch der Macher, marktführend sein zu wollen. Der

Kampf auf dem Sendemarkt ist mit dem  „nur“ nicht

erklärbar.

Der Hinweis auf die enormen Einnahmen ist hier, wie

auch in den anderen Fällen nur beschränkt dienlich. Bei

näherer Nachfrage ist stets der als Generalargument des eigenen Tuns, sei es als Macher oder als harter Kunde, im Vordergrund und nicht das Geld.

d) Es ist klar, daß man im Sinne eines Programms argu

mentiert, wenn man behauptet, daß es an einem eigenen

Vorhaben nichts Falsches gebe. „Nur“  heißt nämlich, Unterhaltung sei letztlich „nur gut“, da sie nicht schade.

e) TV dient der sozialen Entspannung, ist aber gerade deswegen nicht harmlos. Ein Werkzeug, das kollektiv anstachelt und/oder befriedet ist das mächtigste Werkzeug.

f) Es ist falsch, zu sagen, daß das Fernsehen die Leute verblöde. Die Blödheit liegt allein im Senden, nicht im Gesendeten, allein im Empfangen, nicht im Empfangenen.


5.Externe Begründung

„Wenn wir es nicht tun, tun es eben andere. Also tun wir

es.“

a) Dies bedeutet das Verlagern von argumentativen Ebenen nach dem Motto: „Wenn das jeder täte...“. Persönliche Gründe werden durch allgemeine Beobachtung bzw. Behauptung gestützt. Fakten werden mit Intentionen verwechselt. (Wenn jeder dort z.B. parkt, heißt dies nicht, daß das Parken dort erlaubt ist. Es heißt auch nicht: Wenn jeder dort hypothetisch parkte, wäre das Parken faktisch erlaubt.)

b) Die Existenz nur eines anderen, der eine Missetat beginge, rechtfertigte demzufolge die eigene Tat.

b) Also sage ich: Wenn das jeder sagte, täte niemals jemand etwas...


                      



6.Unterscheidungsklarheit

Dieses Argument besagt, daß die Zuschauer sehr wohl

zwischen der harten und der Fernsehrealität unterscheiden könnten, was auf das „Nur“Argument hinausliefe.

a) Wer unterscheiden kann, entwickelt Kriterien der

Begründung für das eigene Tun. Dies widerspricht der

Grand Stupidity Theory.

b) Unterhaltung basiert nach Aussage der Macher auf

indifferenter Rezeption. Die Fähigkeit, zu unterscheiden,

nimmt mit Zunahme der Anspruchslosigkeit des Sendebe

triebs ab.

c) Die Möglichkeit, zu unterscheiden, ist in den meisten

Programmen nicht vorgesehen.

d) Der intentionale Bezug und die „Teilnahme“ an einer

Sendung ermöglichen die Abschattung körperlicher Prä

senz.

e) Die Behauptung der Fähigkeit eines Zuschauers zwi

schen der Realität und TVFiktion zu unterscheiden, ist

kein Argument für Unterhaltung, sondern deren Voraus

setzung (TV soll eingeschaltet und gesehen werden und

nicht in der Belanglosigkeit anderer umgebender Gegen

stände eingehen).

f) Indem Unterhaltung die Indifferenz fördert, aber die

Differenz fordert, schafft sie sich ab.


Fazit

Unterhaltung ist entweder verantwortlich, dann ist sie kei-

ne Unterhaltung, sondern Aufklärung; oder sie ist skrupel-

los, dann ist sie keine Unterhaltung, sondern Verbrechen.

Wird der Unterhaltung eine Position zwischen Aufklärung

und Verbrechen zugespielt, wie es heute üblich ist, ist die Machtfülle einer derartigen vermeintlichen Belanglosigkeit beträchtlich. Die Macht der Unterhaltung besteht eben darin, dass man sie nicht zu Ende denkt.


Nicht der Kampf um Einschaltquoten, sondern der Kampf

um Entspannung wütet.


Die Gier nach Geld ist nicht durch Geld begründet, die Gier nach Unterhaltung nicht durch Unterhaltung. Die Profitgier bei Machern und die Unterhaltungsgier bei Kunden unterliegt stets dem Spaß an der Sache.



BUGH Wuppertal 1998 || © ZT 1998